Gelebtes Evangelium

Interview mit Sr. Mathilde Haßenkamp

Sr. Mathilde Haßenkamp.
Sr. Mathilde Haßenkamp.

"Das Evangelium leben" – das klingt nach einem großen Vorsatz. Was bedeutet er für Sie?

Ich sehe im Evangelium weniger eine Messlatte von Forderungen und Regeln als eine Einladung und Verheißung. Franziskus wollte im Grunde nur dieses eine: "Das Evangelium unseres Herrn Jesus Christus leben". Die Begegnung mit dem Herrn hatte sein Leben verändert, und er blieb ihm auf der Spur. Das versuche auch ich - ich versuche sein Wort und Beispiel in meinem Leben zu bezeugen.

Sie versuchen es. Klappt es?

Es bleibt wohl immer ein Versuch. Ich kann nur das umsetzen, was ich verstanden habe und was in der jeweiligen Situation dran ist. Mich fasziniert, wie Jesus den Menschen begegnete – der Witwe, die ihre letzte Münze in den Opferstock warf, der gekrümmten Frau, der Sünderin und dem Zöllner, der auf einen Baum stieg, um ihn sehen zu können…

… Jesus hatte einen Blick für den Einzelnen in der Menge?

Ja! Er bemerkte die arme Frau in dem Gewühl der Tempelbesucher und lobte ihr großzügiges Herz. Er entdeckte Zachäus auf dem Baum und verurteilte ihn nicht wegen seiner Raffgier, sondern er erkannte seine tiefere Sehnsucht. Es ging ihm um den Menschen, ob der nun arm oder reich war, zu den Kleinen gehörte oder den Großen. Er forderte keine (Vor-)Leistung, wo jemand in Ehrlichkeit und Vertrauen zu ihm kam. Die Begegnung mit Jesus wurde für die Menschen eine beglückende und befreiende Erfahrung.

So war es bei Jesus. Wie geht das bei Ihnen?

Ich versuche, jede/n Einzelne/n ernst zu nehmen: zuerst einmal die Nächste / den Nächsten. Für mich sind das im Augenblick meine Mitschwestern hier im Haus und in unserer Ordensprovinz und all die Menschen, denen ich begegne. Da braucht es Geduld miteinander - aber auch mit mir selbst. Jesu Beispiel fordert mich heraus: er hatte ja eine sehr bunte Gesellschaft um sich herum: Johannes und Jakobus, die "Donnersöhne", den spontanen, großsprecherischen Petrus, Judas, der ihn schließlich verraten hat – sie alle hat er angenommen – und manchmal wohl auch "ausgehalten".

Jesus war aber auch Revolutionär. Er hat sich gegen Normen, gegen Gesetze aufgelehnt, wo sie keinen Sinn machten. Können Sie so leben? So konsequent handeln wie er?

Es kostet etwas, Rückgrat zu zeigen und Stellung zu beziehen, für Menschen oder für eine Sache einzutreten. Oft ist es leichter mitzulaufen, statt sich zu exponieren und Fragen auszuhalten. Doch "Das Evangelium leben" heißt:
sich für die Sache Jesu zu entscheiden und sich dafür einzusetzen, den Benachteiligten beizustehen, gegen ungerechte Strukturen anzugehen, sich für den Frieden einzusetzen.

War es das, was Sie als junge Frau an der biblischen Botschaft faszinierte?

Nein, gesellschaftliche und strukturelle Fragen vom Evangelium her anzugehen, das habe ich erst später gelernt. Zuerst war ich einfach nur begeistert, weil ich Jesus / Gott darin entdeckte und seine befreiende Botschaft für mich. Ich fand mich wieder in Franziskus, der Jesu Einladung hörte: "Verkauf alles und dann folge mir nach…" und dann frohlockte: "Das ist, es was ich will!" – Es war die Einladung, mich frei zu machen von allen Zwängen und zu suchen, was Jesus mir schenken will. Das war der Anfangsimpuls, es war ein Aufbruch, ein Abenteuer. Ich wusste gar nicht genau, was mich im Kloster erwartete. Ich habe mich überraschen lassen und bin nicht enttäuscht worden.

Sie sind früh, direkt nach der Schule, in den Orden eingetreten. Hat sich seither Ihre Beziehung zum Evangelium verändert?

Ja, sie hat sich entwickelt. Manchmal gab es da Augenblicke, in denen ich plötzlich etwas Wesentliches erkannte. Als ich z. B. einmal in einer englischen Bibel las: "You are precious in my eyes," da gingen mir die Worte neu ein, viel mehr als in der deutschen Übersetzung: "Weil du in meinen Augen teuer und wertvoll bist..." Jes 43,4
Ich war ganz beglückt: ich bin kostbar in Gottes Augen, ich bin ihm wichtig, nicht weil ich etwas leiste, nein, weil ich ich bin.

Hat die biblische Botschaft einen festen Platz in Ihrem Alltag?

Ja, sie begegnet mit täglich im Stundengebet und in der Eucharistiefeier. Ich lasse mich von ihr in der Meditation inspirieren und leiten. Ich suche Gott darin und entdecke ihn immer wieder neu. Er hält Überraschungen für mich bereit. Da ist Entwicklung, da ist Leben.

Dezember 2003

Kloster-ABC

"Klosterbegriffe" erklärt

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Catharina Damen, Mutter Magdalena (1787 – 1858)